Generationen genießen
von Katrine Lihn

Generationen genießen
Samstags gibt es Eierpfannkuchen und Sonntags einen schönen Braten. Wie das duftet. Ich freue mich auf puren Geschmack zu handgemachten Klößen. Rituale und Gleichmäßigkeiten geben dem Leben Halt und Sicherheit. Außerdem steigern sie die Vorfreude. Einen Teller voller Gaumenfreuden sehe ich immer vor meinem geistigen Auge, wenn ich an früher denke.
Früher? Ja, damals wurde der Grundstein gelegt für meine Vorliebe zum gedeckten Tisch. Früher, das war in den 1970-iger Jahren als ich am Wochenende bei meinen Großeltern auf dem grüne Sofa saß. Mit den Beinen baumelnd, wohl wissend dass es verboten war, flocht ich aus den Fransen der Tischdecke kleine Zöpfe. Herrlich, unbeschwert und immer geliebt. Die Enkelin, nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Der Opa saß im Ohrensessel und las, die Omi stand in der Küche und kochte. Ich saß mal bei dem einen mal bei dem anderen Großelternteil. Am Liebsten jedoch in der Küche. Hier schälte ich die ersten Kartoffeln, schlug Eier auf und versuchte mich an einem Schmandkuchen.
Wundervoll und mit jedem Jahr wird diese Erinnerung schöner. Die imaginären Düfte intensiver und mein Hang zur Tradition größer!
Was würde ich heute darum geben, Großeltern an meiner Seite zu wissen, deren Geschichten grenzenlos sind wie ihre Liebe. Der Omi-Kartoffelsalat von einer Tadellosigkeit, an der ich bis heute schier verzweifle. Wie kann ein Mensch nur so kleine gleichmäßige Stückchen schneiden? Es ist die Erinnerung, die mich trägt.
Genuss, der aus der Wiege kommt
Wie schon damals in meiner Familie, gibt es auch heute viel Neues in der Küche. Die Jungen wollen immer alles anders machen. Das ist zu verstehen und auch gut so. Missverständnisse zwischen den Generationen werden sich in einem Jahrzehnt aufgelöst haben, doch meist zu spät, um mit den Alten dann die Diskussion aufzunehmen. Schade, denn mit Großeltern an der Seite lassen und ließen sich manche Fehler vermeiden.
Jeder muss und soll seine Fehler selber machen. Das ist logisch und auch gut so. Wie in meinem Fall, in der Küche, wäre heute manch helfende Hand, manch munteres Wort jedoch mehr als hilfreich. Die Großeltern als Paten in der Küche oder auch der Opa als guter Geist in Handwerksdingen. Eine grandiose Mischung, die nicht nur im Privaten gute Ergebnisse bringen kann. Mit Achtung und von Respekt getragen, entstehen so wunderbare Symbiosen.
Beispielsweise kann ich auf alte Rezepte zurück greifen. Mir wurde der Genuss in die Wiege gelegt. Ich stamme aus einer Familie, in der Essen einen hohen Stellenwert hat. Heute ist an die Stelle meiner Großmutter ein bisschen meine Mutter gerückt. Da es bei uns keine Enkel gibt, laden wir ab und zu die Jungen aus meinem Freundeskreis ein. Der Treffpunkt ist die Küche. Die Erfahrungen aus unseren Kochtöpfen rühren wir gemeinsam zu einer Suppe, einem Stampf. Von mir kommen Aufstriche aus Roter Bete, Erbsen sowie Blumenkohl aus dem Ofen dazu. Neues trifft Bewährtes!
Diskussionen über das Leben im Allgemeinen, werden mit bohrenden Fragen zu Tierhaltung, Jagd und Tradition gewürzt.
Ohne Tradition keine Zukunft
Das Essverhalten hat sich in den vergangen zwanzig Jahren immens verändert. Meine Großeltern würden ratlos den Kopf schütteln, über Dingsbums-Intoleranzen und die ganzen Formen von Vegetarismus. Luxusprobleme! „Ein bisschen dankbarer könnten die Jungen schon sein, dass sie frei wählen können. Essen, was und wann immer sie wollen. Früher? Ach, da hatten wir „nüscht!“
Doch ernsthaft: Essen ist Geschmackssache und keine Religion. Mir würde eine Runde mit verschiedenen Menschen gefallen, die sagen, was sie gern essen, was nicht und welche moralischen und ethischen Bedenken sie haben. Oder auch nicht. Manche essen einfach nur, weil es schmeckt und Freude bereitet. Und natürlich weil es uns nährt. Was macht der Genuss mit uns? Wie verändern sich die Vorlieben im Laufe der Jahre? Es gibt viele Themen, die besprochen gehören.
Ohne Tradition kann es keine Zukunft geben. Das gemeinsame Mahl, das Miteinander ist ein sozialer und wichtiger Punkt einer Gesellschaft. Modernes kann sich mit Alltäglichem mischen, Erfahrungen sind gerade in der Küche unerlässlich.
Einer meiner ganz großen Wünsche ist die Umsetzung eines Kochbuchs mit Fotos von Altem und Neuen. Tradition trifft Moderne. Omis Braten liegt neben Enkels Humus und Rohes trifft auf Gegartes.
Überall schießen Manufakturen wie Pilze aus dem Boden, die Sinnsuche nach dem guten Geschmack hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht. Doch Niemand muss das Rad neu erfinden.
Greifen wir auf Bewährtes zurück. Picken wir uns sozusagen die Rosinen aus Omis Kuchen. Lust auf Genuss? Und eins ist so sicher wie das Amen in der Kirche: In der Gemeinschaft is(s)t man weniger einsam.

Katrine Lihn
Katrine Lihn ist Privatköchin und Gastrosphin. Seit 2013 lebt sie in Potsdam. Ihre Wurzeln hat die kreative Köchin in Osterode am Harz. Weitere Informationen unter katrinelihn.de.